27/04/2020
Verringerung des Nettoeinkommens durch Wechsel der Steuerklasse – rechtsmissbräuchlich um Kosten zu reduzieren
Das Bundeverwaltungsgericht in Leipzig hat in einem aktuellen Urteil am 11.10.2012 entschieden, dass der Vater eines in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebrachten Kindes den Kostenbeitrag für diese Unterbringung nicht durch einen Steuerklassenwechsel reduzieren kann, wenn dieser als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist.
Der Sohn des Klägers war wegen einer seelischen Behinderung vollstationär in einer speziellen Jugendhilfeeinrichtung aufgenommen worden (monatliche Kosten etwa 6.500,00 €). Darauf setzte das Jugendamt der beklagten Stadt nach Ermittlung des in den vergangenen zwölf Monaten von dem Kläger erzielten Durchschnittseinkommen einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 635,00 € fest. Diese Summe sollte der Vater zahlen. Für die Bemessung des Kostenbeitrages ist nach § 93 SGB XII das um Belastung, insbesondere gezahlte Steuern, bereinigte Nettoeinkommen maßgeblich. Damals hatte der Kläger die Steuerklasse III und seine im geringen Umfang erwerbstätige Ehefrau die Steuerklasse V. Sie wurde aufgrund ihrer geringen Einkünfte nicht zu einem Kostenbeitrag herangezogen.
Der Kläger beantragte eine Reduzierung des Kostenbeitrages unter Berufung auf sein gesunkenes Nettoeinkommen. Das Jugendamt stellte fest, dass das vom Kläger bezogene Bruttogehalt sich nicht verringert habe, sondern leicht angestiegen sei. Hiergegen sei der (vorläufige) Steuerabzug des Klägers um etwa 900,00 € angestiegen, weil der Kläger freiwillig in die Steuerklasse V und seine Ehefrau in die Steuerklasse III gewechselt sei. Die Beklagte lehnte den Herabsetzungsantrag des Klägers ab, weil der Steuerklassenwechsel nur zum Zweck der Kostenbeitragsminderung erfolgt sei.
Während das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen hat, hat das Oberverwaltungsgericht der Berufung des Klägers unter anderem mit Hinweis darauf stattgegeben, dass die Berechnung des Kostenbeitrages auf der Grundlage des monatlichen Durchschnittseinkommens zu beanstanden sei. Außerdem sei der hier vorgenommene Steuerklassenwechsel jederzeit ohne Angabe von Gründen möglich und mangels grob unbilligen Ergebnisses auch nicht rechtsmissbräuchlich.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Durchschnittsberechnung ist nicht zu beanstanden. Dem Oberverwaltungsgericht ist auch nicht darin zu folgen, dass die durch den Wechsel der Steuerklasse hervorgerufene Verringerung des Nettoeinkommens zwingend zu einer Herabsetzung des Kostenbeitrages führt. Die Ausübung des dem Bürger generell zustehenden Steuerklassenwahlrechts kann im Einzelfall nach dem Grundsatz von Treu und Glauben rechtsmissbräuchlich sein, wenn dafür keine schutzwürdigen Gründe vorliegen und deshalb anzunehmen ist, dass der Steuerklassenwechsel vorwiegend zur Schmälerung des dem Jugendhilfeträger zustehenden Kostenbeitrages erfolgt ist. In diesem Fall ist die Minderung des Nettoeinkommens bei der Bemessung des Kostenbeitrages zu vernachlässigen. Ob die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchs im Einzelfall vorliegen, wird das Oberverwaltungsgericht bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung der Streitsache zu prüfen haben.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.10.2012, Aktenzeichen: 5 C 22.11
Vorinstanzen: OVG Münster und VG Köln